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»Seien Sie nicht so voreingenommen, Marchais. Immer schön of-
fen bleiben. Sie heißt Rosalie Laurent und hat einen kleinen
Postkartenladen in der Rue du Dragon. Warum schauen Sie nicht
einfach mal vorbei und sagen mir dann, was Sie davon halten?«
Und so kam es, dass Max Marchais einige Tage später vor Rosalies
Postkartenladen stand und mit seinem Spazierstock ungeduldig ge-
gen die verschlossene Eingangstür mit dem blauen Rahmen
klopfte.
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Zunächst hatte Rosalie das Klopfen gar nicht gehört. Sie saß mit
zerzaustem Haar in Jeans und Pulli oben an ihrem Tisch und zeich-
nete, und im Hintergrund sang Wladimir Vissotski das Lied von
Odessa, von dem sie nur die Worte »Odessa« und »Prinzessa« ver-
stand. Ihr Fuß wippte im Takt der lebhaften Musik.
Montags war der einzige Tag, an dem das Luna Luna wie viele
andere kleine Geschäfte in Paris geschlossen hatte.
Leider hatte der Tag nicht gut begonnen. Der Versuch, Monsieur
Picard mit freundlichen Worten von der geplanten Mieterhöhung
abzubringen, hatte in einer lautstarken Auseinandersetzung geen-
det. Sie hatte den Mund einfach nicht halten können und den Ver-
mieter schließlich als kapitalistischen Halsabschneider beschimpft.
»Das muss ich mir nicht gefallen lassen, Mademoiselle Laurent,
das muss ich mir nicht gefallen lassen«, hatte Monsieur Picard aus-
gerufen und seine Knopfäuglein hatten erbost gefunkelt. »Das sind
nun mal die Preise in Saint-Germain. Wenn Ihnen das nicht passt,
können Sie ja ausziehen. Ich kann den Laden mit Kusshand an
Orange vermieten, die zahlen glatt das Doppelte, nur dass Sie das
wissen!«
»Orange? Wer soll da sein? Ach, Sie meinen diesen Mobilfunk-
Anbieter? Ich fass es nicht! Sie wollen aus meinem schönen
Geschäft einen Mobile-Laden machen? Sie sind sich auch für nichts
zu schade, was?«, hatte Rosalie gerufen, und ihr Herz hatte ange-
fangen, beängstigend schnell zu klopfen, als sie wütend die aus-
getretene Steintreppe hinuntergelaufen war (Monsieur Picard
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wohnte im dritten Stock) und ihre Wohnungstür mit einem Knall
hinter sich zuschlug, der durch das ganze Treppenhaus hallte. Dann
hatte sie sich mit zitternden Händen nach langer Zeit wieder ein-
mal eine Zigarette angesteckt. Sie stellte sich ans Fenster und blies
den Rauch in den Pariser Morgenhimmel. Es war ernster, als sie
gedacht hatte. Wie es aussah, würde sie nicht darum herumkom-
men, Monsieur Picard ihr sauer verdientes Geld in den Rachen zu
werfen. Sie hoffte nur, dass sie immer genug Geld haben würde, um
dies zu tun. Zu schade, dass der Laden nicht ihr gehörte. Sie musste
sich etwas überlegen. Irgendetwas würde ihr schon einfallen.
Sie hatte sich einen Kaffee gemacht und war wieder an ihren
Zeichentisch zurückgekehrt. Die Musik und die Arbeit an der Zeich-
nung ließen sie ruhiger werden. Das wollen wir doch mal sehen,
Monsieur Picard, dachte sie, als sie schließlich mit energischem
Schwung den Spruch auf die neue Karte schrieb. So schnell werden
Sie mich nicht los. Es klopfte, aber sie hörte es nicht. Zufrieden be-
trachtete sie ihr Werk.
Und der Frühling löst manchmal die Versprechen ein, die der
Winter einem schuldig geblieben ist.
»Hoffen wir s mal«, sagte sie, mehr zu sich selbst.
Wieder klopfte es unten laut und vernehmlich an der Ladentür.
Diesmal horchte Rosalie auf. Sie hielt verwundert inne und legte
den Stift beiseite. Sie erwartete niemanden. Der Laden hatte
geschlossen, die Post war schon da gewesen, und René hatte den
ganzen Tag Termine bei seinen Kundinnen.
»Ja doch, ich komm ja schon«, rief sie, zwirbelte sich im Gehen
mit einer Spange die Haare hoch und stieg hastig die engen Holz-
stufen der Wendeltreppe hinunter, die in den Laden führte.
William Morris, der unten in seinem Körbchen lag, hob kurz den
Kopf und ließ ihn dann wieder auf seine weißen Pfoten sinken.
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Vor der Tür stand ein älterer Herr in dunkelblauem Regenmantel
und passendem Paisley-Schal, der ungeduldig mit seinem Stock ge-
gen die Scheibe klopfte.
Sie drehte den Schlüssel um, der von innen steckte, und machte
die Tür auf. »He, he, Monsieur, was soll denn das? Sie müssen mir
nicht gleich die Scheibe einschlagen«, sagte sie unfreundlich.
»Können Sie nicht lesen, wir haben heute geschlossen.« Sie deutete
auf das Schild, das hinter der Tür hing. Der alte Herr hielt es nicht
für nötig, sich zu entschuldigen. Er zog die buschigen weißen
Brauen hoch und musterte sie mit kritischem Blick.
»Sind Sie Rosalie Laurent?«, fragte er dann.
»Heute nicht«, entgegnete sie gereizt und schob sich eine
Haarsträhne hinters Ohr. Was sollte das werden? Ein Verhör?
»Wie?«
»Ach, nichts. Vergessen Sie s einfach.«
Der Herr mit dem Paisley-Schal schien irritiert. Vermutlich hörte
er schlecht.
»Am besten, Sie kommen morgen wieder, Monsieur«, sagte sie
noch einmal, diesmal lauter. »Hier ist heute geschlossen.«
»Sie müssen nicht so schreien«, entgegnete der Herr pikiert. »Ich
höre noch sehr gut.«
»Das freut mich«, gab sie zurück. »Also dann, au revoir.«
Sie schloss die Tür und wandte sich zum Gehen, als es erneut ge-
gen die Scheibe klopfte. Sie atmete tief durch und wandte sich
wieder um.
»Ja?«, sagte sie, nachdem sie die Ladentür noch einmal geöffnet
hatte.
Wieder warf er ihr diesen prüfenden Blick zu. »Sind Sie es nun,
oder nicht?«, fragte er.
»Ich bin s«, erklärte sie. Die Sache fing an, interessant zu
werden.
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»Oh, das ist gut«, sagte er. »Dann ist das jedenfalls der richtige
Laden. Darf ich reinkommen?« Er machte einen Schritt in den
Laden.
Verblüfft trat Rosalie zurück. »Eigentlich haben wir heute
geschlossen«, wiederholte sie.
»Ja, ja. Das sagten Sie bereits, aber wissen Sie & «, er begann
durch den Laden zu gehen und sich umzusehen, »ich bin jetzt extra
nach Paris reingekommen, um zu sehen, ob Ihre Zeichnungen sich
wirklich eignen.« Er ging weiter und stieß ungeschickt gegen die
Kante des großen Holztisches, der mitten im Laden stand, und ein-
er der Keramikbecher mit den Stiften geriet gefährlich ins Wanken.
»Ist das eng hier«, bemerkte er vorwurfsvoll.
Rosalie rückte den Keramikbecher wieder zurecht, als er jetzt mit
seiner großen Hand nach einer Blumenkarte griff, die auch auf dem
Tisch lag.
»Haben Sie das gemalt?«, fragte er streng.
»Nein.« Sie schüttelte verwundert den Kopf.
Er kniff die Augen zusammen. »Zum Glück.« Er legte die Karte [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
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